Freiheit verteidigen by Ralf Fücks

Freiheit verteidigen by Ralf Fücks

Autor:Ralf Fücks [Fücks, Ralf]
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Carl Hanser Verlag
veröffentlicht: 2017-02-27T23:00:00+00:00


Geschichte als Politik

Wie ist dieser merkwürdige Knick in der deutschen Optik gegenüber Russland zu erklären? Eine wichtige Rolle spielt das fortwirkende Schuldgefühl vieler Deutschen angesichts des Vernichtungsfeldzugs, den Wehrmacht und SS gegen die »slawischen Untermenschen« führten. Wer einmal die Gedenkstätte zur Erinnerung an die deutsche Belagerung Leningrads, bei der fast eine Million Menschen an Hunger und Artilleriebeschuss umkamen, besucht hat, wird sich dem Gefühl einer fortdauernden Verantwortung gegenüber den Nachkommen der Opfer nicht entziehen können. Doch gibt es eine Schieflage in der deutschen Gedenkkultur: Der Vernichtungskrieg gegen die Sowjetunion wird auf eine deutsch-russische Tragödie reduziert. Alle Empathie gilt Russland. Die polnischen, weißrussischen, ukrainischen, baltischen, kaukasischen Opfer des Krieges werden allenfalls am Rande erwähnt.

In der Nachbarschaft Russlands ist nicht vergessen, dass Hitler und Stalin sich im August 1939 auf die Aufteilung Mittelosteuropas einigten. Der von den Außenministern Wjatscheslaw Michailowitsch Molotow und Joachim von Ribbentrop unterzeichnete Pakt war der Startschuss für den Zweiten Weltkrieg. Am 1. September überfiel die Wehrmacht Polen, am 17. September überschritt die Rote Armee die russisch-polnische Grenze. In Brest-Litowsk kam es zu einer gemeinsamen Siegesparade beider Armeen. Bis zum deutschen Angriff auf die Sowjetunion im Juli 1941 wurden Hunderttausende Polen von der sowjetischen Besatzung deportiert, Zehntausende Offiziere und Angehörige der polnischen Eliten erschossen. Ähnliches ereignete sich im Baltikum. Wenn man diese Vorgeschichte des »Großen Vaterländischen Kriegs« ausblendet, ignoriert man das historische Gedächtnis der mittelosteuropäischen Nationen, die zwischen die Mühlsteine von Faschismus und Stalinismus gerieten.

Dass die Verständigung zwischen Deutschland und Russland der Garant für Frieden und Sicherheit in Europa sei, ist ein Refrain im deutsch-russischen Dialog. Bei unseren osteuropäischen Nachbarn blinken allerdings eher die Alarmlampen, wenn die »Achse Berlin–Moskau« beschworen wird. Die Teilung Polens zwischen Preußen und Russland mag lange zurückliegen, ist aber nicht vergessen. Das gilt erst recht für den Hitler-Stalin-Pakt vom August 1939. Er war eines der niederträchtigsten Kapitel in der Geschichte der Diplomatie. Offiziell ein bloßer Nichtangriffspakt (das ist bis heute die Legitimationslegende der Verteidiger dieses Abkommens), sah das geheime Zusatzprotokoll des Vertrags eine umfassende Neuaufteilung Mittelosteuropas zwischen den beiden totalitären Mächten vor. Die neue deutsch-sowjetische Demarkationslinie zog sich vom Baltikum bis Bessarabien. Im Zentrum stand erneut die einvernehmliche Zerstückelung Polens. Der polnische Staat sollte ein für alle Mal von der Landkarte verschwinden. Hitler hatte mit dem Abkommen freie Hand für den Angriff auf Polen und Frankreich, Stalin kam seinem Ziel näher, die Sowjetunion zu einem Imperium auszubauen, das die Machtentfaltung des Zarenreichs während des 18. und 19. Jahrhunderts noch übertreffen sollte. Die Allianz mit Hitler-Deutschland wurde von Stalin am 30. November 1939 in der Prawda, dem Zentralorgan der KPdSU, in seinem charakteristischen Stil begründet – militärisch knapp und mit höhnischem Unterton. Der Große Führer der Sowjetunion stellte klar,



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